Die Dynamik, mit sich derzeit das professionelle und private Umfeld auf virtuelle Dialogformate einschwingt, hat mich inspiriert, den Blick zurück zu werfen (Wissenschaftlerinnenschwäche) und persönliche Erfahrungen mit der Digitalisierung von Dialogen zu vergegenwärtigen. Da ich seit bald 20 Jahren als Moderatorin und Dialogberaterin unterwegs bin, gab es die Chance, frühzeitig bei Pilotprojekten für On- und Offlinegestützte Dialogformate mitzuwirken, vor allem in öffentlichen Kontexten. Kleiner Bericht einer „Analogue Native“, in dem keine Hackathons und Barcamps vorkommen. Aber dazu vielleicht ein anderes Mal mehr.

Anfänge – Synchrone Großgruppenkollaboration im Town Hall Meeting. In einer ausgeräumten Kirche vor rund fünfzehn Jahren lerne ich das Town Hall Meeting erstmals live und als Moderatorin kennen. Bei diesem Großgruppenformat sitzen die Teilnehmenden zu etwa zehnt an runden Tischen und werden durch eine Tischmoderation begleitet. Sie gibt die Diskussionsergebnisse direkt in ein Notebook ein und sendet sie an ein Redaktionsteam im Raum, das aus den Ergebnissen aller Tische in Echtzeit eine Synthese erstellt. Das Ergebnis kann noch am selben Tag von allen Teilnehmenden verabschiedet, vor Ort ausgedruckt und Entscheidungsträgern übergeben werden. Für die Abstimmungen kamen TED-Geräte zum Einsatz, ein Livestream sorgte bei Bedarf für Transparenz. Der logistische Aufwand für dieses großartige Format, das mit mehreren hundert Teilnehmenden durchgeführt werden kann, ist enorm. Mittlerweile erleichtern Konferenzapps (s.u.) die Interaktion. Gelernt: Klare Leitfragen, empathische und fixe Tischmoderatoren, ein abgestimmtes Zeitmanagement, ein fittes Redaktionsteam und verlässliche Technik sind erfolgsentscheidend. Als Hauptmoderation steuere ich den Gesamtablauf und darf mich über die staunenden Blicke der Teilnehmenden und Gäste freuen, wenn am Ende ein gemeinsames Ergebnis geschafft ist und öffentlichkeitswirksam überreicht werden kann. Macht Freude!

Ausbau – Verzahnung von Präsenzveranstaltungen mit asynchroner Onlinebeteiligung. Nur wenige Jahre später erlebte ich erstmals die Verbindung von punktuellen Großgruppenformaten mit Phasen der Onlinebeteiligung. Das Projekt, bei dem ich diese Formate in der Rolle der Moderation kennen lernen konnte, war ein mehrmonatiges Bürgerforum zu Fragen der Sozialen Marktwirtschaft. Es wurde von IFOK in Kooperation mit Zebralog, den Pionieren der Onlinebeteiligung, umgesetzt. Gelernt: Die Kombination von On- und Offline Formaten ermöglicht ein fein abgestuftes Instrumentarium von synchronen und asynchronen Interaktionen, von persönlichen und virtuellen Inputs, von offenen und geschlossenen Diskussionsräumen sowie eine Kaskade von Vertiefungsschritten, Priorisierungen und Entscheidungen. Diese Vielfalt der Gestaltungsmöglichkeiten, eine große Tiefe und die hohe Bandbreite auch an Transparenz und Vertraulichkeit eröffnet ein weites Feld für maßgeschneiderte Dialogprozesse ebenso wie für die differenzierte Erhebung von Meinungsbildern. Finde ich noch immer einen überzeugenden Ansatz (nicht nur) für komplexe Verfahren. Anspruchsvoll!

Verbreitung – Digital unterstützte Großgruppenveranstaltungen und Konferenzapps In den letzten Jahren meiner Arbeit wurde die Einbindung der Teilnehmenden bei großen Veranstaltungen immer häufiger durch Konferenzapps unterstützt. Die Teilnehmenden wählen sich mit dem eigenen Smartphone in eine Applikation ein, die vorab maßgeschneidert für das Event eingerichtet wurde. So können sie an Abstimmungen teilnehmen, Fragen und Kommentare an Referierende stellen oder gemeinsame Wortwolken gestalten. Neulich habe ich als Moderatorin eine Veranstaltung begleitetet, bei der rund zwanzig Prozent der Teilnehmenden remote beteiligt werden sollten. Die Lösung: Das Plenumsprogramm wurde per Livestream übertragen und alle Teilnehmenden über eine Konferenzapp in einem gemeinsamen virtuellen Raum eingebunden. Gelernt: Als Moderatorin muss ich dabei mehrere, für mich auch unsichtbare Räume und Teilnehmende mitdenken und einbinden. Eine gute Kooperation mit der Regie und Technik ist hier essenziell. Generell: Die Interaktion muss die Aufmerksamkeit der Teilnehmenden für das jeweilige Thema unterstützen, sonst verpufft die Wirkung. Belebt!

Neuland – Präsenz- und Onlineräume synchron moderieren Vor wenigen Wochen: Ziemlich kurzfristig muss eine für rund sechzig Personen geplante Präsenzveranstaltung umgestrickt werden, nachdem die Hälfte der Teilnehmenden aufgrund der aktuellen Pandemie nicht mehr reisen darf. Jetzt ist die Hälfte der Teilnehmenden im Veranstaltungsraum präsent (mit Sicherheitsabstand) und die andere Hälfte individuell über Skype zugeschaltet. Es gibt Sprecher, die vor Ort sind und Inputgeber, die sich virtuell dazu schalten. Dieses neue Szenario bringt mich als Moderatorin kurzzeitig an die Kapazitätsgrenzen meiner Vorstellungskraft: Wer sieht und hört wann was und von wem? Eine Generalprobe schafft bald Klarheit für alle Perspektiven und Rollen (Redner/innen und Teilnehmende im Raum und am Bildschirm, Regie und Technik sowie Moderation und Chat-Moderation) und für Sicherheit, um zumindest einigen Eventualitäten zu begegnen. Gelernt: Eine detaillierte Agenda mit klaren Informationen und Anleitungen bietet Orientierung, alle Links und Unterlagen vorab versendet schafft Sicherheit, mehrere und kürzere Pausen sorgen für Erholung. Während des Hauptprogramms den Chat (nur) für die Anmeldung von persönlichen Wortmeldungen nutzen. Möglichst viel Interaktion und Sichtbarkeit der Teilnehmenden (Kamera!). Die Generalprobe und ein starkes Team im Hintergrund ist der beste Erfolgsfaktor überhaupt. Klappt!

Steile LernkurveHundertprozent Online Das haben vermutlich viele von uns in den letzten Tagen und Wochen erlebt: Aus der Not geboren, werden Präsenzveranstaltungen in reine Onlineformate umgewandelt. Mein „erstes Mal“ darf ich als Teilnehmerin eines zweieinhalbtägigen Seminars mit rund hundert Teilnehmenden erleben, das schnell von Präsenz- auf Onlineformat umgestellt wird. Der Zauber des Anfangs mag hier ein Rolle gespielt haben, aber ich bin sehr positiv überrascht, wie der Wechsel der verschiedenen Settings von Vorträgen im Plenum mit Q&A Sessions über Austausch in Kleingruppen bis hin zu vielen bi- oder trilateralen Settings funktioniert, obwohl ein Großteil der Teilnehmenden nicht onlineaffin ist. Gelernt: Eine gute Anleitung für unterschiedlich detaillierte Informationsbedarfe und mehrere Termine vorab für rund zwanzigminütige Technik-Checks und Einweisungen, damit während der Veranstaltung alles rund läuft. Überraschend!

Glücklicherweise gibt es eine Menge Kolleginnen und Kollegen, die ihre Erfahrungen und Tipps zu virtueller Moderation teilen. Das ist sehr hilfreich in dieser Zeit, wo wir uns so schnell umstellen und viel Neues lernen müssen. Gleichzeitig macht erst die erlebte Erfahrung spürbar, was bei Präsenzmoderation alles anders ist als bei Onlinemoderation, beispielsweise Kontakt und Körpersprache, Aufmerksamkeit und Energie, Flexibilität. Gleichzeitig erfahre ich immer mehr darüber, welche ganz eigenen Chancen durch Onlineformate entstehen. Und nicht zuletzt im Sinne einer nachhaltigen ressourcenschonenden Entwicklung finde ich positiv, dass wir uns diese Kompetenzen für ortsübergreifende Kollaboration jetzt gemeinsam und verstärkt aneignen. Chance!